
Nach dem zweiten Tag der Überquerung des Atlasgebirges stelle ich fest, dass die erfolglose Suche nach Sonnencremé in den letzten Tagen überflüssig war. Nicht, dass es hier irgendwo welche geben würde. Auf dem Weg nach Merzouga war die Hitze kaum zu ertragen. An den Dünen von Erg Chebbi habe ich mich einigermaßen damit zurechtgefunden und den Nachmittag im Schatten verbracht. Apropos Schatten: Bereits im Schatten des Atlas wurde es spürbar kälter. Gestern war es noch eine willkommene Abwechslung, heute war es einfach nur unangenehm. Windböen von 65 Km/h am ersten Tag, Böen von 80-90km/h heute im Wechsel mit Regen und Hagel. Der einzige Vorteil des Regens ist ein einigermaßen sauberes Motorrad. Überall klebte bis vorhin noch roter Sand, jetzt ist es normaler Dreck. So oder so: Die Reinigung wird nicht lustig aber immerhin verschwindet der Sand nach und nach.
Momentan befinde ich mich auf der Nordseite des Atlas, irgendwo 80-100km vor Meknés in einer Hotellobby. Ich bin der einzige Gast hier und fühle mich alles andere als wohl, obwohl jeder der 8 Menschen um mich herum ständig fragt, ob alles in Ordnung ist. Da es hier kein WiFi gibt, hat man mir kurzer Hand das Hotelmodem zur Verfügung gestellt, damit ich das hier schreiben kann. Gestern habe ich noch auf 1500 Meter im Zelt übernachtet, heute hat man mich in einer Suite untergebracht (die anderen Zimmer waren noch von einer Reisegruppe verwüstet, vermutlich Franzosen) und ich sehne mich tatsächlich nach meinem kaputten Zelt, dem stinkenden Benzinkocher und einer Tüte Touratech Alubeutel-Futter. Ab dem Zeitpunkt, ab dem ich ein sauberes Bett habe, fühle ich mich diesem Land fremder. Schlafe ich auf dem Boden im Dreck, bin ich in Marokko. Ich glaube, dass es dazwischen nicht viel gibt.
Immer wenn ich von deutschen Urlaubern angesprochen werde, ob ich die Strecke komplett mit dem Motorrad gefahren bin, ernte ich Respekt. Meinem Ego gefällt das natürlich, doch habe ich gestern eine kurze Bekanntschaft mit einem Franzosen machen können, der das alles in den Schatten stellt. Eigentlich wollte ich ihn fragen, was das für unfassbar gute Musik ist, die er da hört, bis ich gemerkt habe, dass er den ganzen Nachmittag vor seinem Fahrrad selbst Gitarre gespielt hat. Er ist die gleiche Strecke die ich gefahren bin mit dem Fahrrad gefahren. Es war nur ein kurzes Gespräch aber es hat mich zu dem Entschluss gebracht, ab morgen (also heute) wieder alleine zu fahren um die Chance zu haben, mehr dieser Menschen kennenzulernen, die aus den verschiedensten Gründen für ein paar Wochen oder Monate aus dem „zivilisierten Leben“ aussteigen. Dem Franzosen habe ich noch zwei meiner Reisemenüs gegeben und dann weiter seiner Musik zugehört. Warum ich das gemacht habe, weiß ich nicht. Mir fehlen sie, aber vielleicht war es einfach ein Zeichen von Respekt und Anerkennung und ein Stück Gewissheit, dass dieser Radler sicherlich mehr damit anfangen kann als ich. Letztlich ist in Marokko überall etwas zu Essen zu bekommen. Er wird es bei der Überquerung des Atlas vermutlich etwas schwerer haben als ich und mit einem getrockneten Schweinebraten und einem serbischen Reistopf, muss er nicht 30km zum nächsten Restaurant fahren, wenn er Hunger hat.
Sigis Bekanntschaft gemacht zu haben, war ein Teil dieser Reise, doch habe ich ein paar Tage länger in Marokko als er und es wäre nicht richtig gewesen, diese Tage nicht auszunutzen. Ich habe ihm gestern beim Abendessen gesagt, dass ich ab morgen (heute) eine andere Route fahre. Durch sein Motorrad und seinen Zeitplan hätte er meine Strecke nicht mitfahren können. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich mich daher heute morgen von ihm verabschiedet und hoffe, er kommt gut in Regensburg an.
Ich bin wieder alleine unterwegs, plane wieder alleine für mich und hoffe, dass ich bald aus diesem Hotel rauskomme. Vor allem, weil der Mann an der Rezeption glaubt mir einen gefallen zu tun, indem er James Blunt „Good bye my lover“ in Dauerschleife in der Hotellobby laufen lässt.
[nggallery id=15]